Die Einführung von IT-Systemen in Betrieben und Behörden erfordert in vielen Fällen eine Mitbestimmung. Für staatliche Hochschulen in Deutschland wird dieses Erfordernis üblicherweise in den Landespersonalvertretungsgesetzen der Bundesländer geregelt. Für das Land Nordrhein-Westfalen ist das beispielsweise das achte Kapitel mit den §§ 62 - 78 LPVG. Bei privaten Hochschulen ergeben sich vergleichbare Regelungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz des Bundes.
Grundsätzlich dient der Mitbestimmungsprozess dazu, die Beschäftigten in die Gestaltung und Verbesserung ihrer Arbeitswelt einzubeziehen. Bei IT-Systemen wird Mitbestimmung unter anderem deshalb notwendig, weil Arbeitgeber durch den Einsatz von IT-Systemen die Leistung und das Verhalten der Mitarbeitenden überwachen können. Entsprechend sind die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden vor den Risiken anonymer Überwachungstechniken zu schützen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Hochschule ihre IT-Systeme tatsächlich zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle verwendet. Es reicht aus, dass die IT-Systeme prinzipiell für diesen Zweck genutzt werden könnten. Dies ist bereits gegeben, wenn Datensätze gespeichert und nachträglich einer bestimmten Person zugeordnet werden können.
Gerade bei potenziell so disruptiven IT-Systemen wie den KI-Diensten sind Hochschulen gut beraten, den Mitbestimmungsprozess als Chance wahrzunehmen,die Einführung von KI-Diensten als übergreifende Aufgabe zu verstehen, die am besten in einem transparenten und konsensorientierten Verfahren gelingt.
Schritte im Mitbestimmungsprozess
Der Mitbestimmungsprozess für generative KI-Dienste erweist sich an vielen Hochschulen als komplex. Nachfolgend wird ein Musterprozess beschrieben, der an der RWTH Aachen in vertretbarer Zeit unter Einbeziehung aller Gremien und Statusgruppen zur erfolgreichen Einführung generativer KI-Dienste geführt hat.
Vorbemerkung: Mindset
Die Einführung generativer KI-Dienste betrifft alle Statusgruppen quer durch die gesamte Hochschule. Die Fakultäten, zentralen Einrichtungen, Verwaltung, Personalräte, Gruppenvertretungen und Gremien der Hochschule sind nicht nur Nutzende, sondern sie werden die Einführung in vielen Fällen aktiv begleiten. Entsprechend sollten alle am Prozess Beteiligten auf einen lösungsorientierten und kooperativen Prozess eingestimmt sein.
Schritt 1. Beschluss der Hochschulleitung
Die Hochschulleitung sollte die Einführung generativer KI-Dienste offiziell beschließen. Dies erleichtert nicht nur die internen Prozesse, sondern stärkt auch die Position der ausführenden Personen in Verhandlungen mit den Anbietern von KI-Diensten. Als Musterformulierung kann verwendet werden:
Die Hochschule versteht generative KI proaktiv als Unterstützungswerkzeug für Forschung, Lehre und Verwaltung.
Die Hochschule bereitet die Zurverfügungstellung von generativer KI für die Mitglieder und Angehörigen der Hochschule vor und setzt diese um.
Die Hochschule erarbeitet und erlässt die dazu notwendigen Vorschriften für den rechtskonformen Betrieb.
Schritt 2: Benennung einer projektverantwortlichen Person
Durch die Hochschulleitung und abgestimmt zwischen Rektorat bzw. Präsidium und Kanzler/in wird eine Kümmerin benannt, die den Prozess orchestriert und koordiniert. Die Person sollte in der Hochschule gut vernetzt sein und insbesondere Erfahrungen als Kontaktfläche zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Da die Kümmerin umfassend in den Bereitstellungsprozess eingebunden ist, empfiehlt sich ein Tandem von Personen bzw. die Beistellung einer aktiven Vertretung, um die Aufgabenlast sinnvoll verteilen zu können.
Schritt 3: Bildung einer statusübergreifenden Taskforce “Generative KI”
Der eigentliche Umsetzungsprozess beginnt nun mit der Bildung einer Taskforce unter Beteiligung aller Akteursgruppen. Die Leitung übernimmt die Kümmerin. Zu den Mitgliedern der Taskforce sollten zählen:
- Leitung: Kümmerin
- Datenschutzbeauftragte
- Vertreter/in der Rechtsabteilung für allgemeine Rechtsfragen
- Vertreter/in für Prüfungsangelegenheiten bzw. Prüfungsrecht
- Vertreter/innen der Personalräte
- Vertreter/innen der Gruppenvertretungen der Beschäftigten (i.e. Professor/innen, Wissenschaftliche Mitarbeitende, nicht-wissenschaftlich Beschäftigte)
- Studierendenvertretung, z.B. AStA
- Projektleitung für das implementierende technische Personal, z.B. aus Rechenzentrum
- Vertreter/innen aus zentralen Einrichtungen, z.B. Hochschuldidaktik, Hochschulbibliothek
- Budgetverantwortliche Personen sowie Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
Die Taskforce beginnt explizit mit dem Auftrag, den Rektoratsbeschluss umzusetzen – nicht mit der Frage, ob generative KI-Dienste bereitgestellt werden sollen. Es empfiehlt sich eine konstituierende Sitzung für die gesamte Gruppe, aus der dann aber unmittelbar kleinere Teams gebildet werden, die sich mit konkreten Aspekten der Einführung befassen.
Eine zielführende Teamstruktur kann sein:
Team Technik: Das Team konzipiert und leistet die technische Umsetzung.
Team Budget und Rechtsfragen: Das Team identifiziert und klärt Rechtsfragen. Ein umfassendes Dokumentenpaket zur Unterstützung dieses Teams ist hier zum Download verfügbar. Zudem klärt das Team die Kostenübernahme durch die Hochschule.
Team Didaktik: Das Team erarbeitet und implementiert didaktische Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten in der kompetenten Nutzung generativer KI-Systeme.
Team Öffentlichkeitsarbeit: Das Team bereitet den Roll-Out medial vor. Wesentlich ist nicht nur die Kommunikation nach außen, sondern vor allem die Informierung der eigenen Hochschulöffentlichkeit, damit die Beschäftigten optimal vorbereitet sind.
Schritt 4: Festlegung eines gemeinsamen Zeitplans
Im Kick-Off Treffen wird neben der Teambildung ein Zeitplan vereinbart, der für die Arbeit in allen Teams verbindlich ist. Diese Zeitplan enthält mindestens folgende Meilensteine:
- Technischer Prototyp ist lauffähig und getestet
- DSGVO-Dokumente sind formuliert und redaktionell abgeschlossen
- Notwendige Leitlinien sind formuliert und, wenn nötig, Änderungen an bestehenden Vorschriften umgesetzt
- Informationsmaßnahmen für Beschäftigte sind erstellt
- Pressemitteilungen sind formuliert
- Didaktische Begleitmaßnahmen sind erstellt und terminiert
- Technischer Support ist eingerichtet
- Der Zeitpunkt für die Informierung der Gremien steht fest
- Die Datenschutzbewertung durch die Datenschutzbeauftragte liegt vor
- Der Zeitpunkt für die Vorlage in den Personalräten steht fest
- Der Zeitpunkt für den Roll-Out steht fest
Schritt 5: Arbeit in den Teams
Die Teams einigen sich intern auf “Produkte”, die am Ender Teamarbeit vorliegen sollen. Das können Dokumente sein, aber auch Webseiten, Blogbeiträge, Schulungsmaßnahmen oder Marketing-Artefakte.
Wesentlich ist hier, dass auch begleitende Dokumente erstellt bzw. anpasst werden müssen. Das umfasst zum Beispiel Leitlinien der Hochschule zum Umgang mit KI-Diensten, aber auch Änderungen an Prüfungsordnungen, um der Tragweite des Einsatzes von KI-Diensten in Studium und Prüfung gerecht zu werden.
Schritt 6: Präsentation in den Gremien der Hochschule
Wenn die Meilensteine 1 bis 5 in einem berichtsfertigen Zustand sind (noch nicht notwendigerweise komplett abgeschlossen), sollten die Gremien umfassend über das Vorhaben informiert werden. Zu diesen Gremien können gehören:
- Ausschüsse wie etwa ein IT-Ausschuss
- Beiräte wie etwa ein CIO-Beirat
- Senat
- Gemeinsames Gremium der Fakultäten bzw. Dekanate
- AStA
Schritt 7: Vorlage in der Hochschulleitung
Wenn die Vorbereitung der Mitbestimmung (vgl. Schritt 8) sowie die maßgeblichen Verfahrens- und Budgetklärungen abgeschlossen sind, kann der Prozess zur abschließenden Zustimmung erneut der Hochschulleitung vorgelegt werden.
Schritt 8: Vorlage in den Personalräten
Das im Rahmen der Meilensteine 1, 2, 3 und 5 erstellte Dokumenten- und Maßnahmenpaket wird den Personalräten zur Zustimmung vorgelegt. Von besonderer Relevanz sind hier die DSGVO-bezogenen Dokumente:
- Datenschutzerklärung
- Nutzungsbedingungen
- Datenschutzfolgenabschätzung (DSFA)
- Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (VVT)
- Technische und organisatorische Maßnahmen (TOMs)
- Positive Datenschutzbewertung der Datenschutzbeauftragten
Schritt 9: Roll-Out
Nun kann der Roll-Out umgesetzt werden, flankiert durch didaktische Maßnahmen und eine Informationskampagne für alle Mitglieder und Angehörigen der Hochschule. Zudem muss der Support geklärt sein, um die unweigerlich aufkommenden technischen und inhaltlichen Fragen der Nutzenden zu beantworten.